Beitrag zum Thema “Deutscher Arbeitsethos” zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

Einleitung
 
Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Vernichtungs- und Konzentrationslager Auschwitz. Die Rote Armee fand Auschwitz auf ihrem Vormarsch gegen die Deutschen im flüchtig evakuierten Zustand vor. Im Versuch die Verbrechen zu verschleiern vernichteten die Deutschen Beweise. Sie trieben über 50 000 Gefangene auf einen Todesmarsch in den Westen. Nur diejenigen, die dem Tod schon nahe waren, verblieben im Lager.
 
Auschwitz ist zum Symbol der deutschen Barbarei geworden. Getreu dem deutschen Arbeitsethos wurden dort Jüdinnen und Juden, Sinti*zze und Rom*nja, Kriminelle und sog. Asoziale technisch perfektioniert durch Arbeit vernichtet. Adornos „Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung“ und scheint in der aktuellen politischen Lage dringender denn je. Doch ist in der Performanz des fleißigen Erinnerns jeglicher Inhalt aufgelöst worden. Wir möchten daher an die Verhältnisse erinnern, welche Auschwitz ermöglicht haben und in unseren Augen auch heute vorherrschen. Konkret soll die Verknüpfung des deutschen Arbeitsethos mit der systematischen Vernichtung von Jüdinnen und Juden nachvollzogen werden.
 
 
Antisemitismus und Kapitalismus
 
Der moderne Antisemitismus muss als Ressentiment gegen den Kapitalismus und die damit einhergehende Entfremdung der Menschen von ihrem Handeln und voneinander verstanden werden. Die Widersprüchlichkeiten des Kapitalismus, welche das Individuum (wenigstens unterbewusst) alltäglich erfährt, werden zu lösen versucht, indem Jüdinnen und Juden werden als Personifizierung der abstrakten Auswirkungen anonymer kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse über das Individuum verantwortlich gemacht werden. Eine solche Personifizierung ermöglicht eine vermeintliche Auflösung der Widersprüchlickeiten durch eine Auslöschung der Jüdinnen und Juden. Diese Projektion ist ein unbewusster Abwehrmechanismus, der die gesellschaftlichen und psychischen Folgen der Entfremdung und Ausbeutung auf ein Äußeres überträgt. Da die Verfälschung durch Projektion dabei nicht begriffen wird, spricht man von pathischer Projektion.
 
Dieses Ressentiment darf nicht mit Kritik verwechselt werden, welche die kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse als abstrakt und anonym erkennt. Eine Kritik der herrschenden kapitalistischen Ordnung ist im Gegenteil notwendige Bedingung zur Überwindung des Antisemitismus.
 
 
Deutscher Arbeitsethos
 
Eine zentrale Widersprüchlichkeit im Kapitalismus ist das Verhältnis des Menschen zur Arbeit. Anstatt dass sie dem Menschen selbst dient, erfährt dieser alltäglich die Aneignung seiner Arbeit und damit seines Körpers durch Dritte. 
Eine ideologische Reaktion auf diesen Widerspruch bestand historisch u.a. in der Propagierung des deutschen Arbeitsethos. Dieser sollte eine vermeintlich moralische Art der Arbeit beschreiben und wurde der ausbeuterischen Arbeit und der nicht-Arbeit entgegengesetzt. Ausbeuterische Arbeit wurde als die Arbeit der Jüdinnen und Juden personifiziert, wohingegen die nicht-Arbeit als die Arbeit der Sinti*zze und Rom*nja personifiziert wurde. Der deutsche Arbeitsethos affirmiert die konkrete organische Seite des Kapitalismus und muss daher komplementär zur pathischen Projektion verstanden werden.
Im Fortschreiten des 19. Jahrhunderts wurden mittels dieser Ausgrenzung der Jüdinnen und Juden die Deutschen definiert. Auch die Distanz zur französischen Revolution sollte gewahrt werden, weshalb sich das romantische Bild des Deutschen Volkes durchsetzte – ein mit dem Land durch Arbeit verwurzeltes Volk, welches einer inneren Einheit entspringe.
Im Nationalsozialismus wurde der Gegensatz von deutscher und jüdischer Arbeit ins Extreme getrieben und dem deutschen Arbeitsethos eine Bestimmung gegeben: Deutsche Arbeit wurde in der nationalsozialistischen Ideologie immer in Bezug auf die Volksgemeinschaft verrichtet, während jüdische Arbeit diese parasitär gegen das Wohl der Volksgemeinschaft ausnutzte. Jüdische Arbeit wurde daher als Anti-Arbeit verstanden.
 
 
“Arbeit macht frei”
 
Der Spruch “Arbeit macht frei” gehört also zur Identität des Nationalsozialismus. Dieser war nicht alleine ein zynisches falsches Versprechen an die Insassen, sondern vielmehr Ausdruck des deutschen Selbstverständnisses. In ihrem Wahn wollten die Deutschen sich mittels Arbeit von der abstrakten Seite des Kapitalismus befreien – welchen sie in Jüdinnen und Juden personifizierten – während sie sich gleichzeitig der konkreten organischen Seite unterwarfen. Hieraus erklärt sich die akribisch geplante, technisch perfekte Vernichtungsmethodik trotz deren vollkommen wahnsinnigem Ziel. “Frei” konnten in der NSIdeologie nur die arbeitenden Deutschen sein. Sie sahen sich daher im Recht Jüdinnen und Juden als und durch Arbeit zu vernichten.
 
 
Kritik der deutschen Erinnerungskultur
 
Umso mehr verwerflicher erscheint uns der gegenwärtige positive Bezug auf „das Volk“ und die Propagierung des deutschen Arbeitsethos durch die bürgerlichen Parteien. Im Namen des „Volkes“ mittels des deutschen Arbeitsethos wurde schließlich die Barbarei verübt. Daher ist auch jeder Form der Schlussstrich-Debatte – von rechtem Patriotismus bis zu linkem “Free Gaza from German guilt” – entschieden entgegen zu treten. Sie verwässert die Analyse des Nationalsozialismus, indem sie die deutsche Ideologie vom Nationalsozialismus zu trennen versucht. Eine klare Benennung der damaligen Zustände und Ideologien ist jedoch unumgänglich, damit Auschwitz nie wieder ist.
 
Eine Erinnerungskultur, welche auf eine Wiedergutwerdung von Deutschland abzielt, macht sich unglaubwürdig. Erinnern heißt für uns: gegen Deutschland und die herrschenden Zustände!